Reflexion der Atlantiküberquerung

 Nun ist bereits über einen Monat her, dass uns die Lady Blue sicher über den Atlantik gebracht hat.

Zeit, zu reflektieren, wie es war und was hängen geblieben ist. Teilweise wird es Segeltechnisch, schonmal als Vorwarnung an alle lesenden Nichtsegler.

Crewgröße:
Zu dritt ging es sehr gut. Auf 42 Fuß ein guter Kompromiss zwischen Wache und genügend Platz für sich selbst. Die erste Etappe von den Kanaren auf die Kap Verden waren wir zu viert und anschließend zu dritt. Der Unterschied war durchaus erkennbar. Der Wachrhythmus ist etwas anstrengender zu dritt mit 3on6off und zu viert ist mehr los auf dem Schiff. Mehr Erwachsene als vier würde ich auf 42 Fuß nicht empfehlen.

Energie:
Unsere AGM Batterien mit 660Ah sind schon 3,5 Jahre alt und liefern nicht mehr die volle Leistung. Das haben wir gemerkt, da wir 1,5h pro Tag den Motor laufen lassen mussten, um die Batterien für die Nacht zu laden. Und wir hatten extra vorher noch die Hälfte der Lampen auf LED umgerüstet. Uns fehlten jeden Tag ca. 80Ah. Das lag daran, dass die Bordbatterien bei 75% schon unter 12 Volt waren. Ich hatte mit 40% nutzbarer Akkuleistung gerechnet, leider waren es nur 25%. Das ist nicht viel.

Wasser:
Wir hatten 500 Liter Frischwasser im Tank und 160L Notwasser in Kanistern mitgenommen. Für den Fall, dass wir uns Verunreinigungen im Tank einfingen. Ist alles nicht passiert und wir sind zu dritt mit dem Wasser gut zurecht gekommen. Und wir haben ab Tag 5 jeden Abend im Cockpit uns geduscht. Wobei „duschen“ hier nicht nach Festlandkriterien zu werten ist, sondern nach Atlantikkriterien und das heißt 1,5l Wasser muss reichen.

Wichtig war mir, dass jeder von uns drei seine 2l pro Tag getrunken hat. Beim Spülen waren wir sehr sparsam, Stefan sei Dank. Gebraucht haben wir für die 17 Tage auf See zu dritt insgesamt 500 Liter Süßwasser. Das macht 9,5 Liter pro Person pro Tag.

Wachrhythmus:
Wir hatten uns vor Abfahrt in Mindelo für ein festes Wachsystem entschieden und gegen ein rollierendes System. Für die ersten 5 Tage haben wir unser System angewandt und nach 5 Tage auf den Prüfstand gestellt. Und für uns drei hat es gut gepasst und wir haben es somit für die ganze Überquerung beibehalten. Die Basis war ein „3on-6off“ System, d.h. du hast 3 Stunden Wache und dann hast du 6 Stunden frei. Da es rechnerisch in 24h nicht aufgeht haben wir tagsüber 3x eine 2-Stunden-Schicht eingeschoben. Dann war der feste Rhythmus wieder da. Nachts sah er wie folgt aus:

o   19-22h: Stefan

o   22-01h: Rüdiger

o   01-04h: Christian

o   04-07: Stefan

Wir haben uns für das feste System entschieden, weil uns wichtig war, dass sich unser Körper an einen festen Rhythmus gewöhnen konnte. Das hat gut geklappt. Ich bin direkt nach dem Abendessen ins Bett, gegen 20h und konnte so gute 5h schlafen, bevor ich um 1 Uhr nachts dran war.

Wache gehen:
Doch was bedeutet „Wache“ auf der LadyBlue für die Atlantiküberquerung? Da da jeder Skipper unterschiedlich ist, habe ich für die LadyBlue folgende Erwartungen an den Wachhabenden festgelegt:

o   Ca. alle 30 Minuten: AIS, Rundumblick, Wind, Segel, ggf. Radar

Somit war es für mich auch in Ordnung nachts während der Wache zu dösen. Solange dieser 30min Check auch erfolgte.
Wie komme ich auf 30 Minuten? Warum nicht 20 und nicht 40?
Hier ein Einblick in meine Denk- und Rechenweise:
Die LadyBlue war normalerweise mit 6 Knoten Speed unterwegs. Unser AIS deckt 15-20 Seemeilen ab. Und unser Radar deckt bis zu 30 Seemeilen ab. Also hatten wir durch das AIS einen 2h Kreis um uns herum. Die Tanker fahren ca. 15kn. Das heißt, wenn uns einer entgegenkommt, sehen wir ihn bei 15 Seemeilen digitaler Sicht eine Stunde vor der vermeintlichen Kollision. So sind wir mit 30 Minuten gut auf der sicheren Seite.

Essen:
Das Essen ist erheblich wichtiger auf See als auf Land. Die Essenszeiten schaffen einen Tagesrahmen für uns alle und gutes Essen trägt zur guten Laune der gesamten Crew bei. Wir hatten das große Glück mit Rüdiger einen erfahrenen Hobby Smutje an Bord zu haben. Er übernahm von Anfang an die Verantwortung fürs Provisionieren und für die Bordküche. Wir hatten kein Essen zweimal. Meisten gab es abends zwei Gänge. Und meisten stand Rüdiger mehr als eine Stunde abends in der Küche. Das war Mega. Jeden Tag ein echtes Highlight.
Unsere Essenzeiten waren: gegen 8 Uhr gabs Frühstück, gegen 13 Uhr Mittagessen und gegen 18 Uhr mit den letzten Sonnenstrahlen gabs Abendessen.

 

Die Abendrunde: Zeit zur ehrlichen Reflexion
Im Debriefing in Grenada wurde von uns dreien die tägliche Abendrunde als eines der zentralen positiven Dinge hervorgehoben. Wir kannten uns drei nicht, bevor wir gemeinsam auf engstem Raum 17 Tage über den Atlantik segelten. Jeder von uns drei hatte in der Abendrunde die Möglichkeit über alles zu reden, was ihn beschäftigt. Und die anderen beiden hören zu. Ohne es zu kommentieren. Einfach nur zuhören.

In den ersten Tagen kam es zu einer emotionalen Entladung die durch die Abendrunde gut wieder aufgefangen werden konnte. Das Wissen tagsüber, dass ich abends die Möglichkeit habe über die Dinge zu reden, die mich bedrücken, die ich schön finde, die mich ärgern, die ich wieder erleben möchte, uns allen drei gut getan.

Wir haben als Familie inzwischen die Abendrunde übernommen. Nicht dogmatisch und doch mehrmals pro Woche. Auch als Familie ist es schön, nach dem Abendessen noch zusammenzusitzen und den Tag Revue passieren zu lassen.

Tägliche Checks: Rigg, Bilge, Wetter, Position
Jeden Tag wurde die Lady Blue an den wichtigen Punkten kontrolliert. Dies war ein täglicher Decksrundgang mit Fokus auf Mast, Rigg, Wanten und sämtlichen Befestigungen.

Alle drei Bilgen wurden täglich kontrolliert, der Wasserstand und die Essensschapps.

Täglich wurde der ARC Wetterbericht per Satellitentelefon geholt und der Wetterbericht von unserer OnShore Wetterrouterin Julia. Auch schrieb ich jeden Tag das Bordtagebuch und kontrollierte die Batteriespannung.

Jeder von uns drei hatte seine Check-Themen die sichtbar für alle im Salon täglich abgehakt wurden. So war kein Nachfragen und jeder sah, dass die Checks durchgeführt wurden.

Umgang mit Squalls
In der zweiten Hälfte kamen die berühmt berüchtigten Squalls. Kurze Regenschauer mit Winddrehern und mehr Wind. In den Squalls konnte es bis zu 15kn mehr Wind haben. Da wir durchschnittlich 15-20 Knoten TrueWind hatten, war so ein Squall heftig. Unvorbereitet wollten wir da auf keinen Fall reingeraten.

Tagsüber waren die Squalls gut sichtbar und die Zugrichtung klar erkennbar. Nachts lief nun das Radar durch und wir fuhren die Nachtwache ausschließlich mit Radar. Mein Gefühl sagt mir, dass wir nachts mehr Squalls hatten als tagsüber. Einige Male waren wir dann nachts zu zweit wach, um entweder schnell das Schiff vorzubereiten oder im Squall zu warten, ob es noch mehr Wind wird. Ab 30 Knoten nachts kommt dann auch das mulmige Gefühl.
Großsegel und Besan fuhren wir nachts ausschließlich im zweiten Reff. Und mit der Genua wurde gespielt, rein und raus, je nach Wind.

Fazit:
Diese Squalls sind ein ärgerliches Ding. So richtig ausweichen konnten wir auf unserem Kurs nicht, da wir meisten mit 160-170° AWA (Apparent Wind Angle) unterwegs waren. Ein paar Grad Kursänderung hieß für uns zwei Bäume schiften. Und das war nachts nicht drin. Kurs in die andere Richtung war oft genau die, wo der Squall herkam; McMurphy.

Besegelung inkl. Oxley Levante
Unsere Besegelung war super. Hier hat unsere Lady Blue ihre Blauswasserfähigkeiten voll unter Beweis gestellt. In der ersten Woche waren wir fast ausschließlich bei Leichtwind, 10-15Knoten, mit Besan und unserem „Parasailor“ Oxley Levante unterwegs. Ein Supergespann. 6 Tage lang berührten wir die Segel kaum. Ein Traum.

Ich hatte mich zwei Jahre lang mit dem Kauf beschäftigt: Ob wir überhaupt eins brauchen und wenn ja, welches. Nach eingehender Marktrecherche war mir klar, welches Leichtwindsegel ich haben wollte: einen Oxley Bora. Im direkten Gespräch mit Sven von Oxley, überzeugte er mich auf einen Levante zu wechseln (OXLEY Sails: Selbst stabilisierend, ersetzt Spinnaker oder Gennaker (oxley-sails.com)) was ich nie bereut habe. Ein super Segel. Kurz vor dem Startschuss gab ich mir einen Ruck, nahm meinen Mut zusammen und kaufte das 150m² Segel für gute 5.000,-€. Viel Geld für viel Segel. Ich bin froh und dankbar, dass wir unseren Oxley so gut einsetzen und gebrauchen konnten. Die erste Woche Leichtwind auf einem Vorwindkurs ohne Oxley will ich mir jetzt gar nicht mehr vorstellen.

In der zweiten Hälfte kamen wir aus der Leichtwindphase raus in die richtigen Tradewinds mit 20-25kn von hinten. Ab da fuhren wir mit drei Segeln: Genua, Groß und Besan. Richtig getrimmt, konnten wir sogar das Steuer loslassen und die LadyBlue fuhr einfach weiter geradeaus. Faszinierend, wie das Besan das Schiff ausbalancierte.

Das soziale Gefüge:
Hier habe ich zwei Sichtweisen aus meinen zwei Rollen: Skipper und Privat.

Meine Skippersichtweise:
Wir drei kamen gut zurecht. Und es war eine besondere Situation für uns alle. Mit zwei Fremden den Atlantik zu überqueren ist speziell. Das muss allen Beteiligten klar sein. Das war es uns auch und das offene Reden über unsere Unterschiedlichkeiten hat uns gut getan.

Meine Sichtweise als Christian:
Mein Traum war es nicht. Ich wollte mit Julia und meinen drei Mädels diese einzigartige Lebenserfahrung machen. Und es war gut, dass wir uns anders entschieden hatten. Und es war teilweise hart für mich. Es gab Phasen, da war das Gefühl des AlleinSeins übermächtig. Schlussendlich war es für mich ein Job, der getan werden musste, damit unser Familiensegeln in der Karibik überhaupt stattfinden konnte. Und so habe ich mich auch die meiste Zeit gefühlt. Was schade war, denn das Atlantiksegeln kann so viel mehr, kann so faszinierend sein, wenn die innere Haltung eine andere ist.

Mein Fazit:

Es war eine faszinierende Erfahrung.
Für mich persönlich mit mehr Tiefen als Höhen, so dass ich sie erstmal nicht nochmal brauche.

Bewährt hat sich für mich das feste Wachsystem, die festen Essenszeiten und vor allem die Abendrunde. Die kann ich jeder Crew ans Herz legen.

Falls es irgendwann ein zweites Mal gibt, werde ich mehr Wert auf Crewaktivitäten abseits vom Essen legen. Ein gemeinsames Brettspiel, Kartenspiel, Themendiskussionen,… denn:
Du hast sehr viel Zeit auf dem Atlantik.
 

Zurück
Zurück

Ein ganz normaler Freitag

Weiter
Weiter

Das sehr andere Weihnachten