Zieh dich warm an
Gestern Nacht habe ich darüber sinniert, ob diese Reise beziehungsweise diese Reiseerfahrung so ist, wie ich sie mir im Vorfeld vorgestellt habe. Und diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Denn einerseits kommt mir ein „ja, klar“ in den Sinn; wir sind an Orten angekommen, wo wir hin wollten, und „ja, klar“; unsere Mädels sind zu echten sehr aufgeschlossenen neugierigen Englischsprechenden Boat Kids geworden (das war Teil des Traumes: es ihnen zu ermöglichen eine Sprache zu lernen ohne Vokabeln zu lernen), und andererseits ist manches ganz anders gekommen als erwartet. „Gar besser“, zum Beispiel die vielen fantastischen Leute, die wir jetzt schon kennenlernen durften. Menschen mit spannenden Lebensläufen, echtem Interesse am gegenüber und einer Verlässlichkeit und Verbundenheit, die enorm ist (das habe ich sonst nur bei sehr guten Freunden und innerhalb der Familie erlebt) Na, vielleicht noch innerhalb des USCUs (-; Insider. Und ja manches, ist ganz anders gekommen. Mir fällt es schwer zu sagen, „schlechter“, denn passender ist „anders“. Beziehungsweise noch passender: es sind Erfahrungen, auf die man im Nachhinein hätte verzichten können. Und das geht eben nicht. Denn eine solche Reise ist ein „Komplettprogramm“. Zum Beispiel: gestern sind wir zum Mopion Island gesegelt, auch Umbrella Island genannt. Ein kleiner Sandhaufen vor einem Riff mit Sonnenschirm, umgeben von glitzernden blau und türkisfarbenem Wasser, gehört zu St. Vincent and the Grenadines und liegt vor Petit Vincent. Gegenüber Petit Vincent ist Petit Martinique. Wie dem auch sei; vor 2 Jahren haben wir- auf dem Sofa sitzend mit Wolldecke und dem brodelndem Kamin im Hintergrund, dieses Youtube Video von #sailinginsieme geschaut und uns fest vorgenommen: Wenn es uns gelingt, zu dieser Reise aufzubrechen, aller Widrigkeiten zum Trotz, und damit meine ich Themen wie z.B. das Thema Schule aber auch ganz banal, die Frage: werden wir am Ende den Mut haben aufzubrechen? Das wussten wir bis zum Ablegen nicht und immer wieder wussten wir es nicht. Dann würden wir dorthin segeln.
Auf jeden Fall, war mit diesem Video ein konkretes Traumbild entstanden: wir segeln zu Mopion Island, ankern vor dem Riff, lassen unser Dinghi zu Wasser und „besichtigen“ die Insel, joggen einmal um die Insel, essen Wassermelone und grüßen und danken #sailinginsieme für die Inspiration.
Ja, und so haben wir es gestern gemacht. Ihr könnt euch vorstellen, wie bewegend der Moment war. Wir fünf auf dieser mini Insel. Sehr gut hat es sich angefühlt! Stolz und dankbar waren wir und dem puren Glück verdammt nah.
Auf dem Weg zurück zur LadyBLue hatten wir aber auch sogleich einen dieser Schreckmomente, auf die wir gerne verzichten würden. Denn unser Außenborder war ausgefallen. Das kann schon mal passieren und ist nicht unbedingt ein Grund zur Panik. Wir wussten aber sofort, was das Problem ist, nämlich ein gebrochener Splint im Propeller, ergo kein Vortrieb mehr. Auch nicht im Wasser reparierbar. Und unser Dinghi Anker, den wir sicherheitshalber IMMER mitnehmen, lag leider nicht im Dinghi sondern auf der LadyBlue. Und mit unseren Paddeln kamen wir gegen Wind und Welle nicht an. Auf der einen Seite der offene Atlantik, auf der anderen das nächste Festland, vielleicht Kolumbien??Na ja, wir hatten- wie so oft- Glück im Unglück und konnten einen Catamaran heranwinken, der uns netterweise zu unserer LadyBlue schleppen konnte. Einfach so. Natürlich hilft man sich. Und ja, wir hatten ein Funkgerät dabei, hätten also vermutlich Hilfe rufen können. Und vielleicht hätten Ronja, Lotta und ich auch schwimmen können und Chris hätte mit Marla das Dinghi gerudert. Und trotzdem, dieser Moment hat sich nicht gut angefühlt. Später kam ein weiterer Segler zu uns gefahren, um zu fragen, ob wir Hilfe bei der Reparatur benötigen und um uns mitzuteilen, dass er auch schon dabei war ihn sein Dinghi zu springen, um uns „zu retten“. Man hilft sich, versteht sich.
Auch drei Nächte davor, eine dieser Erfahrungen. Chatman Bay, Union Island, 0430. Ich wachte auf, weil ich eine Art Glockenspiel hörte, fragte mich, warum ich denn um alles in der Welt Kirchenglocken höre in der Karibik, um dann sehr schnell zu kapieren; Nein, das ist nicht normal! Jemand schlägt gegen einen Topf. Vielleicht versucht uns jemand zu wecken?? Und ja, so war es, per Funk auf Kanal 16 teilte uns das Nachbarschiff Orkka mit, dass sie gerade einen Überfall abwenden konnten. Zwei Männer waren die Bordwand hochgeklettert…..puuuh, dankbar für die Info, und sehr verunsichert, konnten wir natürlich nicht mehr schlafen. Natürlich wissen und wussten wir schon vorher, dass es Überfälle auf Segler gibt. So wie es eben auch Hauseinbrüche gibt. Übrigens ist in unser Haus zu Hause tatsächlich schon einmal eingebrochen worden. Aber bisher fühlten wir uns sehr sicher, ankerten wir doch meist in Buchten mit mindestens 20 Schiffen, nicht völlig einsam, nicht völlig abgelegen. Auch versuchen wir immer in Kontakt mit den lokalen Boatboys zu kommen, ihnen Fisch, Bananen oder Brot abzukaufen. Und unser Schiff erkennt man auch eindeutig als Kinderschiff. Aber auch wir, winschen unser Dinghi nachts hoch und sichern es mit 2 Schlössern. Und wenn wir unser Schiff verlassen, verrammeln wir alles. Es ist hier eben alles was wir haben. Aber, wenn wir auf unseren Schiff sind, bleibt es offen. Erstens wäre es viel zu heiß und zweitens wollen wir uns nicht einschließen müssen. Wenn dieses Gefühl entstünde, würden wir uns nicht mehr wohl fühlen.
Na ja, in eben dieser Nacht, beleuchteten wir im Anschluss an den Funkspruch unser Boot, so dass man sich nicht gut im Dunkeln herantasten konnte und hielten mit Scheinwerfer und Funkgerät Wache. Und besprachen uns, im Fall des Falles, würden „sie“ einfach alles kriegen. Keine Gegenwehr. Hauptsache keiner wird verletzt. Es handelt sich hier um keine systemische Piraterie, sondern vielmehr um Gelegenheitsüberfälle bei immenser Armut (die absurderweise durch die Covid Pandemie und den ausbleibenden Tourismus noch größer geworden ist).
Es gab in dieser Nacht keinen weiteren Versuch eines Überfalls. Wir blieben noch 2 weitere Nächte in der Bucht vor Anker.
Und ja, auch die Tatsache, dass das Leben zu Hause weitergeht, und wir verdammt weit weg sind, ist nicht immer ein schönes Gefühl; Menschen aus unserem Umfeld feiern Geburtstage, ziehen um, bekommen Babys, werden krank, oder sterben sogar. Und wir können- und da kann die Welt noch so digital verbunden sein, nur schwer Anteil nehmen. Es geht eben nicht alles gleichzeitig. Das Leben eben.
Andere Momente dagegen, die ich mir im Vorfeld, mit totaler Panik vorgestellt hätte, verlaufen dagegen total smooth. Wir hatten vor wenigen Tagen zum ersten mal einen Ausfall unserer Steueranlage, nach fast 7000 Seemeilen übrigens. Es ging also nichts mehr, das Steuerrad drehte durch, griff nicht mehr. Auch der Autopilot funktionierte nicht mehr. Und ja, ich hatte schon zum Funkgerät gegriffen, um unsere Pan Pan Situation zu vermelden und uns von den anderen Schiffen helfen zu lassen. Aber dann stellte ich fest, dass uns der Wind erstmal am Riff vor Union Island vorbeitreiben würde und dann könnten im Lee der Insel vor Anker gehen. Kurzerhand montierten wir also in wenigen Minuten unsere Notpinne und fuhren einfach weiter. Im Lee der Insel ankerten wir etwas unterhalb der anderen Segler, Chris am Anker, ich an der Notpinne und Ronja am Gashebel. Einwandfrei! Und dann bauten wir die Steueranlage auseinander, (wir haben eine feste Steueranlage mit mehreren Kardangelenken), putzten alle Teile, fetteten sie und setzten sie wieder zusammen und alles passte perfekt. Auch der anschließende Sea Trial war erfolgreich, also alles paletti. Ganz ohne Drama! Natürlich hätten wir das nicht mitten auf dem Atlantik machen wollen. Aber vermutlich hätten wir es hinbekommen. Gut zu wissen, wurden doch auch dieses Jahr zwei Schiffe der ARC bei der Atlantiküberquerung aufgrund ausgefallener Steueranlagen verlassen.
Die Schlussfolgerung meines Sinnierens war also, manches ist so gekommen wie vorgestellt und manches anders. Wer hätte das gedacht?
Und meine Empfehlung: Brich auf zu einer solchen Reise, wenn Du Lust dazu hast und zieh Dich warm, denn die Höhen und Tiefen werden kommen. Und sie haben vielleicht nichts mit dem Reisen, dem Segeln, dem Vorbereitetsein, dem Geld, der Gesundheit zu tun, sondern es sind die Dinge, die man im Vorfeld nicht bedenken kann. Und gerade deswegen ist es auch so spannend.