Sailing Lady Blue

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Der etwas andere Kommentar

So viele Zweifel, so viele Sorgen, alles zu viel, alles zu anstrengend, so wenig Genuss, so wenig Energie für Begeisterung übrig, obwohl wir an tollen Orten sind, obwohl wir gesund sind, obwohl das Schiff segelt. Immer diese Listen im Kopf, das Ziel sie abzuarbeiten, immer befürchten etwas zu übersehen, Angst, das richtige zu entscheiden, Angst zu bereuen, Angst loszulassen von dem wie alles zu sein hat, von dem wie ich denke, dass alles vorbereitet sein muss. Gleichzeitig unsere drei Kinder vor Augen, ausnahmslos im hier und jetzt. Sie explodieren mit ihrer Freiheit, ihrem Selbstbewusstsein, ihrer Freude. Ich fühle mich schlecht, wenn ich mich von 2 Tagen Überfahrt erstmal 4 Tage erholen muss, neu ordnen , sacken lassen, froh sein ohne Schaden angekommen zu sein. Alle anderen (Segler) scheinen mehr Energie zu haben, sind begeisterter, nehmen die Probleme mit mehr Gelassenheit. Wenn ich uns von außen sehe, oder Versuche zusammen zu fassen wie andere uns sehen... erreichen uns Worte wie Wahnsinn, der Mut, die Zuversicht, die Energie, das Durchhaltevermögen. Und ja, das sind wir ja auch. Sonst wären wir nicht hier, auf Lanzarote . 1300Seemeilen weit sind wir gekommen, ohne Schaden, ein wenig Verschleiß natürlich. Wir haben es ausgehalten loszufahren ohne dass wir alles können, alles wissen, alles ausprobiert haben oder gar in der Lage wären alles zu reparieren. Und dieses aushalten strengt an. Also, wieso machen wir das eigentlich? Gute Frage. Seekrank konnten wir uns auch keine Antwort mehr geben. Mit der Seekrankheit ist es aber so; sobald man Land betritt ist sie wieder vorbei. Und der Name trügt ja auch. Es ist keine Krankheit. Der Körper beziehungsweise unser Gleichgewichtsorgan im Innenohr benötigt lediglich etwas Zeit zu kapieren, dass die bewegende Umgebung das neue normal ist. Augen, Innenohr und Reflexe befinden sich im mismatch. Bei den allermeisten verschwindet die Seekrankheit nach 3-4 Tagen auf See. Unsere Passage war also zu kurz Wir treffen übrigens viele Segler, die seekrank werden. Wieso also all das? Die Beweggründe sind so unterschiedlich wie die Menschen. Eine gewisse Faszination sich der Natur hinzugeben, ist wohl dabei. Mit dem Wind zu segeln, zu fühlen, dass all unsere Regeln und Gesetze, all unsere Vorstellung von unserer perfekten westlichen Welt im Anblick dieser Natur seltsam klein erscheinen. Wirklich, ein Beispiel: ich finde Rechtschreibung ziemlich wichtig. Aber als ich neulich erklärte, dass man Frühstück mit 'h' schreibe, wir gleichzeitig über Funk von der coastgard informiert wurden, dass mehrere Flüchtlingsboote auf dem Weg zu den Kanarischen Inseln seien und man deren Position durchgeben solle mit der Anzahl an Personen und gleichzeitig aufgrund eines kurzen Regenschauers ein riesiger Regenbogen mit Anfang und Ende über dem Wasser entstand, muss ich gestehen, fand ich es etwas irritierend zu beobachten wie wichtig mir es offenbar ist, dass man Frühstück mit h schreibt. Vermutlich klingt das alles etwas verwirrend. Und ja, ich denke, das ist des Rätsels Lösung: es ist verwirrend. Reisen ist verwirrend. Festzustellen, dass manches gar nicht mehr wichtig erscheint, manches dagegen noch viel wichtiger. Eigentlich sind wir reiseerfahren, aber alleine zu reisen, zu zweit zu reisen, auf einem Schiff zu reisen, zu fünft zu reisen sind völlig unterschiedliche Arten zu reisen.
Dieses Neue macht ja auch alles so spannend, und gleichzeitig bemerken wir wie nötig Routine und Regelmäßigkeit für uns ist. All das finden wir erst jetzt unterwegs raus. Wieviel Rückzug/ alleine sein ist nötig für jeden einzelnen? Themen, die wir in dieser großen internationalen Seglerfamilie, die wir in allen Häfen treffen, teilen. Auch bekommen wir aufmunternde, begeisterte, zuversichtliche Emails und Nachrichten aus allen Generationen bekannter und unbekannterweise. Menschen, die ihre Geschichte, ihre Reisen oder nicht gelebten Träume mit uns teilen. Und die Frage, was man
am Ende mehr bereuen wird scheint die alles entscheidende Frage zu sein. In unserem Fall vorsichtig gewesen zu sein, den Traum ziehen lassen oder es "gemacht zu haben" trotz aller Befürchtungen, aller Ängste.
Für den Fall eines Unfalls wird man am Ende immer bereuen. Natürlich! Aber der wahrscheinlichste Unfall auf unserer Segelreise ist statistisch gesehen immer noch der Verkehrsunfall beim Landgang. Wie zu Hause, der Autounfall auf dem Weg zur Arbeit, zur Schule.....denken wir darüber nach im Alltag? Hoffentlich nicht allzu oft; es wäre zu betrübend. So, das war jetzt eher ein Brainstorming, als ein chronologischer Blogbeitrag. Auch habe ich nicht besonders auf meine Rechtschreibung geachtet, aber vielleicht ist es ja für den ein oder anderen spannend zu lesen, welche Gedanken mich im Moment beschäftigen.

Seid gegrüßt, Julia

P.S. Danke der Nachfragen, meinem Fuß geht es im getapten Zustand ganz gut.